Die von der der Rundfunk und Telekom Regulierungs GmbH (RTR) beauftragte und veröffentlichte „TV-Programmanalyse 2011“ offenbart erneut aussagekräftige Details zur Programmierung der TV-Vollprogramme in Österreich.

Besonders interessant ist dabei die Analyse des Senders „ORF eins“. Dem Sender wird eine starke Unterhaltungsorientierung, ein sehr geringer Informationsanteil sowie ein hoher Anteil an Parallelprogrammierungen attestiert. Auch seine Unverwechselbarkeit wird kritisch hinterfragt.

Der VÖP fühlt sich durch die unabhängige Studie der RTR in seinem Vorwurf bestätigt, dass das TV-Programm des öffentlich-rechtlichen Mitbewerbers nicht ausgewogen strukturiert und unverwechselbar ist. Per Gesetz muss der ORF in seinen TV-Programmen ein ausgewogenes Gesamtprogramm von Information, Kultur, Unterhaltung und Sport anbieten, wobei diese Programmanteile in einem ausgewogenen Verhältnis zu stehen haben. Insbesondere ORF eins ist jedoch in seiner Unterhaltungsorientierung sogar noch kommerzieller ausgerichtet als private Sender. Und auch wenn der Schwestersender ORF 2 deutlich ausgewogener programmiert ist, so reicht das TV-Programm des ORF in einer kombinierten Betrachtung von ORF eins und ORF 2 nicht an vergleichbare öffentlich-rechtliche Standards heran.

„Der ORF erfüllt seinen Programmauftrag nur mangelhaft.“, stellt Corinna Drumm, Geschäftsführerin des VÖP klar. „Das Programm vor allem von ORF eins ist kommerziell und verwechselbar, öffentlich-rechtliche Inhalte sind hier nur in geringem Ausmaß vorhanden. Wir haben dies bereits im Rahmen unserer Beschwerde an die KommAustria aufgezeigt. Die Ergebnisse der vorliegenden Programmstruktur-Studie, die von der unabhängigen RTR-GmbH beauftragt wurde, bestärken uns in unserer Einschätzung. Es wird höchste Zeit, dass die Abhängigkeit des ORF von der Werbewirtschaft beendet wird. Die Vermarktungsmöglichkeiten des ORF müssen reduziert werden. Nur so ist eine Fokussierung der ORF-Programme auf den öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erzielen!“

Nachfolgend einige Details aus der Studie:

  • Fernsehpublizistische Inhalte: Die Studie attestiert ORF eins, der Sender „mit den mit Abstand geringsten zeitlichen Anteilen bei fernsehpublizistischen Sendungen in Österreich“ zu sein (S. 60).
  • Unterhaltung: ORF eins wird ein „Spitzenplatz“ im Bereich der Unterhaltungssendungen bestätigt. Bei Betrachtung der Programmstruktur liegt ORF eins mit einem Anteil der Unterhaltungssendungen von 63,9% „weiterhin deutlich vor den österreichischen privatkommerziellen Fernsehvollprogrammen ATV, PULS 4 und ServusTV“ (S. 62). Noch deutlicher offenbart der Blick auf das Programmprofil die Unterhaltungsorientierung von ORF eins: Hier wird dem Sender ein Unterhaltungsanteil von 83% bescheinigt (S. 84).
    Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch die Programmstrukturanalyse des VÖP aus 2011, die Gegenstand einer anhängigen Beschwerde des VÖP bei der KommAustria ist.
  • „Unverwechselbarkeit“ und Parallelprogrammierungen: Ebenfalls im Rahmen der VÖP-Beschwerde wurde die Unverwechselbarkeit des ORF und das hohe Ausmaß paralleler Ausstrahlungen beanstandet. Auch die RTR-Studie hinterfragt kritisch: „Die bisher vorliegenden TV Programmanalysen geben aber Anlass, kritisch zu fragen, ob die (öffentlich-rechtlichen) Fernsehvollprogramme in Österreich ausreichend unverwechselbar sind.“ Der Studienautor konstatiert sogar einen Anstieg der parallelen Ausstrahlungen auf ORF eins: „Während im Jahr 2007 die parallel (‚am selben Tag‘) zu einem anderen (…) Fernsehvollprogramm ausgestrahlten Sendungen bei ORF eins einen zeitlichen Anteil von 13,7 Prozent (…) ausmachten, liegt der Anteil im Frühjahr 2011 bei 28,2 Prozent.“ (S. 51) Kein anderer Sender weist einen auch nur annähernd so hohen Anteil an Parallelprogrammierungen auf (S. 156).
  • Programmprofile: Im Rahmen der Betrachtung der Programmprofile wird ORF eins in der Studie nicht als „Vollprogramm im klassischen Sinne“ bewertet: „Das als Folge der Annahme von Programmkonkurrenz sowie Ausrichtung an (vermeintlichen) Präferenzen der jüngeren Zielgruppen weitgehend eindimensionale Programm von ORF eins bietet wenig strukturelle Vielfalt und kaum Fernsehpublizistik. Inwiefern die als Ausgleichsmechanismus erwünschte und angenommene komplementäre Ergänzung durch ORF 2 grundsätzlich gegeben ist und sich faktisch einstellt, ist fraglich – die hohe strukturelle Vielfalt von ORF 2 und die aus kumulierten Reichweitenbetrachtungen bekannte Zielgruppensegmentierung, die sich auf der Ebene einzelner Sendungen fortsetzen dürfte, sprechen dagegen.“ (S. 92)
    Wirft man einen vergleichenden Blick auf die Programmprofile der Sender und richtet hier den Fokus auf den Informationsanteil, der für öffentlich-rechtliche Sender als Königsdisziplin zu gelten hat, dann findet sich kein öffentlich-rechtlicher Sender an erster Stelle, sondern der Privatsender ServusTV. ORF2 folgt erst auf Platz 3 und ORF eins belegt den 13. Platz (von 15 untersuchten Sendern). (vgl. Tabellen 7 und 8, Seiten 90 bzw. 93)
  • Ausländische Produktionen: Der Anteil von Sendungen, die außerhalb der EU produziert wurden, liegt bei ORF eins insgesamt bei 50% – ein Wert, dessen Gewicht vor allem im Vergleich mit deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern deutlich wird, die lediglich 2,4% (ARD) bzw. 5,2% (ZDF) ihrer Sendungen außerhalb der EU produzieren (lassen) (S. 120). Unter diese Ausländischen Produktionen fallen vor allem Blockbuster-Filme und Serien aus den USA, deren Beitrag zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags als eher gering einzuschätzen ist, und die ganz nebenbei dazu führen, dass ein beträchtlicher Teil des ORF-Budgets ins Ausland abfließt – ohne jegliche Wertschöpfung im Inland.

Eine weitere interessante Erkenntnis aus der Studie abseits der programmlichen Seite betrifft die Werbung im ORF-TV: Zum vierten Mal in Folge dokumentiert die RTR-Studie, dass der ORF das gesetzliche Werbezeitlimit von 42 Minuten pro Tag in den betrachteten Zeiträumen in beiden TV-Sendern überschritten hat (S. 109). Eine Überschreitung um 20% ist zwar erlaubt, sofern die Grenze im Jahresschnitt eingehalten wird. Dennoch erscheint die regelmäßige Überschreitung in den Betrachtungszeiträumen der Programmanalyse zumindest fragwürdig.

Link zur RTR-Studie