31.03.2017. „Der geplante YouTube-Channel des ORF wird nicht nur Videoangebote der Privaten erheblich schwächen, er verstößt auch gegen gesetzliche Vorgaben – sowohl des ORF-Gesetzes, als vermutlich auch des Kartellgesetzes.“
So das Fazit von Ernst Swoboda, VÖP-Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer von KRONEHIT, nach Prüfung des ORF-Vorschlags für Änderungen seines Angebotskonzepts für soziale Medien. „Eines ist dieser Vorschlag aber vor allem sicher nicht: ein wirksamer Beitrag zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Kernauftrags. Weshalb der ORF absichtlich sein öffentlich-rechtliches Profils schwächen und seinem eigenen Angebot, der TVthek, Konkurrenz machen will, ist ein Rätsel.“, so Swoboda weiter.
Der ORF plant, seine TV-Sendungen ganz oder teilweise sieben Tage nach Ausstrahlungszeitpunkt für einen unbefristeten Zeitraum auf YouTube bereitzustellen, zusätzlich zu eigens für soziale Medien produzierten Inhalten. Die Vermarktung will der ORF gegen eine Erlösbeteiligung von 55% an YouTube/Google übertragen.
In einem ersten Schritt hat der VÖP geprüft, ob das Vorhaben gegen zwingende Verpflichtungen des ORF-Gesetzes verstößt, und ist dabei zum Ergebnis gekommen, dass von klaren Gesetzesverstößen ausgegangen werden muss. Der ORF ist zur Einhaltung besonderer Regeln im Bereich kommerzieller Kommunikation (Werbung, Sponsoring) verpflichtet; diese Regeln werden nicht eingehalten werden können, da der ORF die Kontrolle über Form, Intensität oder Inhalt der Vermarktung zur Gänze an YouTube abtritt. Gesetzwidrig ist auch der Plan, die ORF-Inhalte ausschließlich YouTube, nicht aber auch dritten Anbietern zur Verfügung zu stellen (Diskriminierungsverbot). Verstöße gegen das Verbot von zielgruppenorientierten Angeboten sowie gegen den besonderen Auftrag für das Online-Abrufangebot stehen ebenfalls im Raum.
In einem zweiten Schritt wurden die Auswirkungen auf den Wettbewerb auf den betroffenen Märkten getestet. Es zeigt sich, dass auf sämtlichen von der Zusammenarbeit betroffenen Märkten schwerwiegende negative Wettbewerbseffekte zu erwarten sind, denn sowohl der ORF als auch YouTube verfügen auf den relevanten Märkten über dominante Marktpositionen, nicht zuletzt aufgrund des geringen Refinanzierungsrisikos beider Unternehmen in Bezug auf Investitionen in audiovisuelle Inhalte. Auf dem Sehermarkt sind künstliche Verzerrungseffekte (u.a. Nachfrageverschiebungen) zu Lasten privatwirtschaftlicher Mediatheken und zu Lasten der ORF-TVthek zu erwarten. Auf den Werbemärkten ist u.a. mit Verdrängungseffekten und einem nachhaltigen Preisverfall für Online-Werbung zu rechnen. Und auf dem Inhaltemarkt, dem Markt für Produktion und Kauf von Inhalten bzw. Rechten, wird die private Nachfrage nach audiovisuellen Produktionen geschwächt. Da zwischen diesen Märkten starke Wechselwirkungen bestehen, sind massive Wettbewerbsverzerrungen zu befürchten.
Auch gegen das Kartellgesetz dürfte das Vorhaben verstoßen: Kritisch ist die Exklusivität der Kooperation, die dritte Portalanbieter vom Zugang zu ORF-Inhalten ausschließt, weiters die zwischen den Kooperationsparteien getroffene Marktaufteilung, der Verdacht von wettbewerbsschädigenden Verdrängungspreisen durch das unangemessen niedrige Entgelt, das der ORF als Gegenleistung für seine Inhalte von YouTube erwartet, und schließlich der Verdacht der Einschränkung des Absatzes zum Schaden der Verbraucher, da die Nachfrager nach ORF-Inhalten die Plattform YouTube zu ihrem eigenen Schaden (geringes Datenschutzniveau, Weitergabe personenbezogener Daten für Vermarktungszwecke) nutzen müssten.
Schließlich wurde überprüft, ob das geplante Angebot geeignet ist, einen positiven Beitrag zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Kernauftrags zu leisten: Diese Prüfung fällt negativ aus. Verantwortlich dafür ist eine Vielzahl negativer Effekte auf den „Public Value“ des ORF-Angebots. Dies beginnt mit der Schwächung des eigenen Online-Abrufdiensts TVthek, zu dessen Bereitstellung der ORF jedoch verpflichtet ist. Ein inhaltlicher Mehrwert des Angebots ist nicht erkennbar, zumal die geplante maximal dreiminütige Social-Media-Nachrichtensendung keinen relevanten Mehrwert gegenüber den vielfältig verfügbaren Online-Informationen und den bestehenden ORF-Angeboten leistet. Auch steht die geplante Strukturierung der ORF-Inhalte in „Sparten-Playlists“ im Spannungsverhältnis zur geforderten Ausgewogenheit des ORF-Angebots, und die Segmentierung in leicht verdauliche Inhaltesilos widerspricht klar dem öffentlich-rechtlichen Anspruch, ein Gegengewicht zu den „Echo-Kammern“ der sozialen Medien zu bieten. Darüber hinaus würde das YouTube-Umfeld den Eindruck der Austauschbarkeit der ORF-Inhalte verstärken und das öffentlich-rechtliche Profil des ORF nachhaltig schwächen. Völlig inakzeptabel aus öffentlich-rechtlicher Perspektive ist die Nichteinhaltung ethischer Grundregeln kommerzieller Verwertung durch YouTube (etwa durch Werbeplatzierung im Umfeld extremistischer Inhalte) und die Nichtgewährleistung von Kinder- und Jugendschutzbestimmungen, sowohl bezogen auf Inhalte als auch Werbung.
„Der geplante YouTube-Kanal des ORF ist daher nicht genehmigungsfähig.“, fasst Corinna Drumm, Geschäftsführerin des VÖP, die Analyse zusammen. „Das vorgelegte Angebotskonzept ist ein ambitionierter Versuch, unliebsame gesetzliche Schranken zu umgehen, der zum Scheitern verurteilt ist.“
> Download: Stellungnahme des VÖP zum ORF-Vorschlag auf Änderung seines Social Media Angebots