18.09.2009. Gestern fand im Parlament eine Enquete zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk und zur Medienvielfalt in Österreich statt. Dabei kamen sowohl nationale als auch internationale Experten zu Wort. Lesen Sie hier eine Zusammenfassung.

  • Philip Lowe, der Generaldirektor des Bereichs „Wettbewerb“ der EU-Kommission, beleuchtete die Kompetenzverteilung zwischen Nationalstaaten und Kommission auf dem Gebiet des Rundfunks. Die Mitgliedsstaaten hätten das Recht, für den öffentlichen Rundfunk entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen, ohne dadurch mit dem EU-Regelwerk in Konflikt zu kommen. Dazu müsse aber ein klarer öffentlich-rechtlicher Auftrag formuliert sein, der die entsprechenden Bedürfnisse der Gesellschaft befriedigen und die Medienvielfalt fördern müsse. Kommerzielle Dienste dürften jedenfalls nicht von öffentlicher Seite subventioniert werden. Auch dürfe die Förderung Öffentlich-Rechtlicher nicht dazu führen, dass ein Markt dadurch gleichsam leergekauft werden könne. Der öffentliche Rundfunk müsse sich seiner Verantwortung bewusst sein und dürfe sich nicht wie der Elefant im Porzellanladen benehmen. Außerdem brauche es einen fairen Ausgleich zwischen allen Medienanbietern, um die Medienvielfalt nicht nur zu erhalten, sondern auch zu stärken. Dazu benötige man entsprechende Kontrollinstrumentarien, die unabhängig agieren könnten.
  • Ross Biggam, Chef der Association of Commercial Television (ACT), sprach sich für ein „duales System“ aus, in welchem es einen starken öffentlich-rechtlichen Sektor gebe, der jedoch nicht länger marktbeherrschend sei, sondern stattdessen auch dem privaten Sektor Raum biete. Biggam setzte sich mit diversen europäischen Modellen im Rundfunk- und TV-Bereich auseinander und nannte dabei konkrete Beispiele aus Belgien und Schottland, wie eine vernünftige Balance zwischen öffentlich-rechtlich einerseits und privat andererseits die Medienlandschaft konstruktiv befruchte. (Link zur Langfassung)
  • Tobias Schmid, Leiter Medienpolitik beim Privatsender RTL, nannte vier Faktoren für die weitere Entwicklung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks: politicher Konsens für sein Weiterbestehen, eine integrative Stellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der jeweiligen Medienlandschaft, Akzeptanz des Publikums und die Zulässigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht. Dabei erinnerte Schmid daran, dass eine staatliche Intervention im Medienbereich nur dann zulässig ist, wenn sie auch geboten sei, und dies hänge von den jeweiligen inhaltlichen Parametern ab. Es gehe hier um einen so genannten publizistischen Mehrwert, der das eigentliche Gebot sei, welches die Ausnahmeregelung vom europäischen Wettbewerbsrecht begründe. Geboten sei aber nicht alles, was möglich sei. Entscheidend sei vielmehr eine Abwägung zwischen publizistischen Mehrwert einerseits und marktlicher Auswirkung anderseits, und zwar für jedes spezifisches Angebot, denn Vielfalt müsse für das Angebot wie für die Zahl der Anbieter gelten.
  • Horst Pirker, Präsident des VÖZ, schickte in seinem Statement voraus, der Staat gelte im Allgemeinen als schlechter Unternehmer. Auf dem Mediensektor trete der Staat in Österreich aber nicht nur als Unternehmer auf, sondern weise seinem Unternehmen über 500 Mio. € jährlich aus Gebühren und Werbeeinnahmen zu und privilegiere es dadurch intensiv gegenüber der privaten Konkurrenz. Trotz dieses kritischen Grundbefundes betonte Pirker, zur Zeit brauche man den ORF noch. Der öffentliche Auftrag an den ORF berechtige den Staat zur Intervention auf dem Mediensektor. Staatliche Eingriffe im Medienbereich durch öffentlich-rechtlichen Rundfunk seien dann legitim, wenn dadurch relevante Bedürfnisse nach Information und Unterhaltung befriedigt werden, die nicht von den privaten Anbietern in ausreichender Form berücksichtigt werden. Fest stand für Pirker allerdings, dass der ORF komplementär zu dem bestehenden Angebot agieren müsse, die Aufgabe und Chance des öffentlichen Rundfunks liegen in der Differenzierung und nicht in der Nachahmung der Privaten.
  • Christian Stögmüller, Präsident des VÖP, rief den ORF dazu auf, seinen öffentlichen Auftrag wahrzunehmen, und meinte, die Privaten hätten nichts gegen einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Private Medien seien aber dagegen, dass sich der ORF als Privater breit macht. In der gegenwärtigen Situation agiere der ORF als überfinanzierter Marktbeherrscher, der den Privaten alles streitig macht und einen teilweise ruinösen Wettbewerb betreibt, lautete der kritische Befund Stögmüllers. Der ORF müsse in Entsprechung seines öffentlichen Auftrages Programme anbieten, die dem öffentlich-rechtlichen Mehrwert entsprechen, nach dem Motto: „Hollywood raus, Österreich rein“, betonte Stögmüller, der darüber hinaus auch für eine werbefreie Prime Time eintrat. Eine Gebührenerhöhung konnte sich Stögmüller nur bei einer gleichzeitigen Reduzierung der Werbung und einer Erhöhung der Förderung der Privaten vorstellen. Auch plädierte er für die Schaffung eines unabhängigen Aufsichtsorgans für den ORF.
  • Ludwig Bauer, Geschäftsführer des Privatsenders ATV, betonte, Medienvielfalt in Österreich brauche ein gut funktionierendes duales System, einen Fernsehmarkt, in dem sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die privaten Anbieter bestmöglich in produktiver Koexistenz ergänzen. Er stellte jedoch auch fest, dass Österreich davon noch „Lichtjahre“ entfernt sei. Er skizzierte den ORF als übermächtigen, aufgeblähten Apparat, dessen Kosten von Jahr zu Jahr explodierten und der sich selbst nicht mehr in den Griff kriege. Und auch die Politik kriege den ORF nicht mehr in den Griff, so Bauer. Das grundsätzliche Dilemma sei: Der ORF habe seine eigentliche Bestimmung als öffentlich rechtlicher Sender mit einem unverwechselbaren Programmauftrag aus den Augen verloren. Vom Sparzwang betroffen seien zuerst immer die Kernbestandteile des öffentlichen Auftrags. Der ORF sei in Zukunft daher wieder klar und eindeutig auf seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag zu verpflichten, auf „Unverwechselbarkeit“ mit kommerziellen Sendern müsse mehr Wert gelegt werden. Abschließend forderte Bauer, dem ORF keine Werbung nach 20 Uhr mehr zu gestatten. (Link zur Langfassung)

Quelle: Parlamentskorrespondenz, OTS0279 und OTS0335

Radiobeitrag (Shorty)
Gestaltung: RCA, Alexandra Sükar
Format: mp2, Größe: 1,4 MB